Der Mindestlohn ist seit dem 1. Januar in Kraft. Wie zufrieden sind Sie mit dem Gesetz?

Katja Mast: Mein Fazit ist eindeutig: Ich bin sehr zufrieden und freue mich, dass wir es nach zehn Jahren sozialdemokratischer Kraftanstrengung an der Seite der Gewerkschaften geschafft haben, den Mindestlohn durchzusetzen. Das ist ein guter Start ins Jahr 2015. Für rund 3,7 Millionen Beschäftigte bedeutet der Mindestlohn von 8,50 Euro eine bessere Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit. Wer Vollzeit arbeitet, kann jetzt von seiner Arbeit leben und muss nicht zusätzlich Sozialleistungen beziehen. Der Mindestlohn schützt aber auch unsere ehrlichen Unternehmer, die schon immer gute Löhne gezahlt haben.

Kritik gab es vor allem für die Ausnahmen beim Mindestlohn. Hätten Sie sich weniger Ausnahmen gewünscht?

Naja – ich lese immer, wir hätten eine Ausnahme für Praktikanten, das Gegenteil ist der Fall. Wir regeln endlich, was ein Praktikum ist und was nicht. Klar ist, missbräuchliche Praktika sind Arbeitsverhältnisse. Hier gibt es durch die Regelung des Mindestlohngesetzes einen riesigen Fortschritt. Nur für zwei Gruppen gibt es besondere Regelungen: für Jugendliche unter 18 Jahren und Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten nach dem Jobeinstieg. Das sind Kompromisse für das Ganze; Kompromisse, die dazu führen, dass insgesamt 3,7 Millionen Menschen profitieren. Und schon im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass es für Branchen mit besonderen Herausforderungen Übergangsregelungen geben soll. Für sie sind bis zum 31. Dezember 2016 Abweichungen vom Mindestlohn nur dann möglich, wenn ein entsprechender Mindestlohn-Tarifvertrag über das Arbeitsnehmerentsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Diese Übergangsregelung endet jedoch mit dem 1.  Januar 2017 –  dann gelten 8,50 Euro überall.

Wie kann verhindert werden, dass der Mindestlohn umgangen wird, zum Beispiel durch unbezahlte Überstunden oder Werkverträge?

Uns war bei dem Gesetz besonders wichtig, dass die Arbeitszeit dokumentiert wird und damit auch kontrolliert werden kann. Diese Aufzeichnungspflicht gilt für die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel für das Hotel- und Gaststättengewerbe. Aber die Aufzeichnungspflicht gilt gerade auch für gewerbliche Minijobs. Nur so kann hier Schwarzarbeit effizient vermieden werden. Ehrliche Arbeitnehmer und Arbeitsgeber sind somit nicht mehr die Dummen.

Wer sorgt für die Einhaltung des Mindestlohns?

Schlupflöcher zur Umgehung der Lohnuntergrenze darf es nicht geben. Deshalb bekommt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll die Aufgabe den Mindestlohn zu kontrollieren. Dafür werden über 1600 Stellen innerhalb von drei Jahren neu geschaffen. Richtig gut finde ich die Einrichtung der Mindestlohn-Hotline durch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Alle Fragen rund um den Mindestlohn werden hier beantwortet. Besonders wichtig ist, dass dort auch Verstöße gegen den Mindestlohn anonym gemeldet werden können.

Was bringt das Tarifpaket außer dem Mindestlohn?

Das Tarifpaket heißt eigentlich Tarifautonomiestärkungsgesetz. Es war schon immer das Ziel, den Flächentarif zu stärken. Deshalb haben wir die Regelungen zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung verbessert. Tarifverträge können jetzt leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden. Sie gelten dann auch für diejenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer der gleichen Branche, die nicht tarifgebunden sind. Darüber hinaus können alle Branchen in das Arbeitsnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Das bedeutet, dass alle Arbeitnehmer in Deutschland, auch alle aus dem Ausland nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer, in der jeweiligen Branche zu gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen arbeiten. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz schützt somit vor allem gegen schlechtere Arbeitsbedingungen, die möglicherweise in anderen Ländern gelten. Auch die ehrlichen Unternehmen, die sich an Tarifverträge halten, profitieren, weil dem unfairen Unterbietungswettbewerb Einhalt geboten wird.

Mindestlohn und Rente ab 63 sind beschlossen, die Arbeitsmarktlage ist gut. Welche Themen bleiben in Ihrem Bereich Arbeit und Soziales in den nächsten Jahren?

Wir haben noch eine Menge vor. Ich nenne als Stichworte nur die Sicherung des Fachkräftebedarfs, mehr betriebliche Ausbildung für Jugendliche, die Einschränkung der missbräuchlichen Werkverträge, die Regulierung der Leiharbeit, die Vorbereitung des Bundesteilhabegesetzes für eine bessere Inklusion von behinderten Menschen, die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge und das Rückkehrrecht nach befristeter Teilzeit – wir setzen jetzt Schritt für Schritt um, was wir angekündigt haben. Diese Große Koalition wird weiterhin eine sozialdemokratische Handschrift tragen, dafür werden wir sorgen.

Was heißt das konkret? Wie wollen Sie den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen bekämpfen?

Die Zahl der Beschäftigten mit Schein-Werkverträgen steigt stetig. Unter dem Deckmantel eines Werkvertrags werden Menschen ohne soziale Absicherung beschäftigt, da der Mindestlohn und die Sozialversicherungsbeiträge für die Unternehmen nicht anfallen. Die Folgen gehen auch zu Lasten des Steuerzahlers, da dieser am Ende des Tages in unserem Sozialstaat für den sozialen Schutz eines prekär Beschäftigten aufkommt. Diesen Trend wollen wir umkehren. Um den Kampf gegen den Missbrauch von Werkverträgen zu gewinnen, brauchen wir unter anderem die Ausweitung der Mitwirkungsrechte der Betriebsräte, die genauere Regelung für die Kontrolle von Scheinselbstständigkeit und bessere Prüfmöglichkeiten. Das alles gehen wir in diesem Jahr an.

Warum brauchen wir ein Gesetz zur Tarifeinheit?

Tarifautonomie, Streikrecht und Tarifeinheit sind für uns ein hohes Gut. Im Grundsatz wollen wir wieder die Regelung „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ einführen. Durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde dieses Prinzip 2010 aufgegeben. Seitdem ist es möglich, dass in einem Unternehmen mehrere Tarifverträge nebeneinander gelten, also Tarifpluralität herrscht.

In den letzten Monaten haben wir gesehen, was in einem Fall von Tarifkollision passieren kann. Tarifkollision liegt vor, wenn konkurrierende Gewerkschaften für die gleiche Berufsgruppe in einem Unternehmen einen Tarifvertrag aushandeln. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn einige Berufsgruppen Lohnsteigerungen nur für sich durchsetzen, statt für die gesamte Belegschaft. Das ist unsolidarisch. Und diese Möglichkeit wollen wir mit dem Gesetz ändern.

Geht die Tarifeinheit zulasten von kleineren Gewerkschaften?

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Tarifeinheit nur dann geregelt wird, wenn Tarifkollision vorliegt. Das ist nicht häufig der Fall. Bei Tarifkollision soll künftig gelten, dass in einem Betrieb der Tarifvertrag der Gewerkschaft gilt, die die Mehrheit der Arbeitnehmer organisiert. Wie das festgestellt wird, ist im Gesetz geregelt. Der Arbeitgeber erfährt nicht, welcher Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied ist. Diese Regelung gilt für kleine und große Gewerkschaften.

Kümmern will sich die Koalition auch um die Langzeitarbeitslosen, an denen der Aufschwung der letzten Jahre vorbeigegangen ist. Wie kann diesen Menschen geholfen werden?

Richtig ist, dass viele Langzeitarbeitslose kaum von der guten Stimmung auf dem deutschen Arbeitsmarkt profitieren. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat deswegen Ende letzten Jahres ein Konzept für den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorgestellt. Das Konzept berücksichtigt, dass die Gruppe der Langzeitarbeitslosen sehr heterogen ist. Für jeden muss es passgenaue Lösungen geben. Deswegen sollen die Jobcenter dabei unterstützt werden, sich in der Beratung sowie in der zielgenauen Vermittlung von Langzeitarbeitslosen besser als bisher aufzustellen. Durch die Einrichtung von zusätzlichen Aktivierungszentren erhalten Leistungsberechtigte gebündelte Unterstützungsleistungen. Bleiben maßgeschneiderte Aktivierungsanstrengungen ohne Erfolg, setzt ein Programm für öffentlich geförderte Beschäftigung an. Für alle gilt: Die SPD will gute Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanzieren und ist deswegen bereit, den Aktiv-Passiv-Transfer zu erproben. Dabei werden Leistungen, die Langzeitarbeitslose sonst passiv für ihren Lebensunterhalt bekommen, in Zuschüsse für eine aktive Beschäftigung umgewandelt. Denn für uns ist klar, Arbeit ist mehr als Geld verdienen. Arbeit bedeutet gesellschaftliche Teilhabe.

Wo sehen Sie über diese Legislatur hinaus die zentralen Aufgaben in der Arbeitsmarktpolitik?

In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik brauchen wir mehr Vorsorge. Wer weiter qualifiziert wird und im Erwerbsleben fit bleibt, bekommt bei Arbeitslosigkeit schneller wieder einen Job. Dafür verantwortlich sind Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Gesellschaft. Politisch muss der Kulturwandel in den Betrieben begleitet werden, aber das reicht nicht aus. Wir müssen auch die Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Also eine Versicherung, die vorsorgend ansetzt und weniger reaktiv ist. Klar ist doch: Dem wachsenden Fachkräftebedarf als zukünftig wichtigste Standortfrage für die Wirtschaft begegnen wir nur mit vorsorgender Sozialpolitik.